Offener Brief zur Lage der Bildungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern

Sehr geehrte Frau Ministerin Martin,
sehr geehrte Frau Ministerin Oldenburg,
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,
sehr geehrte Mitglieder des Landtages,

Wir, die Landeskonferenz der Studierendenschaften M-V, haben uns aufgrund der erheblichen Mängel in der Bildungspolitik des Landes entschlossen, eine zentrale Bildungsdemo durchzuführen. Wir wollen Ihnen zeigen, dass wir es nicht mehr hinnehmen werden, wie in unserem Bundesland mit dem Bildungssystem umgegangen wird. Eine Demonstration scheint der einzige Weg zu sein, damit Sie die permanenten Hilferufe erhören.

Die Corona-Pandemie und die zunehmende Energiekrise haben die Probleme im Bildungssystem des Landes nur noch weiter verstärkt. Die Hoffnungen einer neuen Landesregierung mit dem Motto „Aufbruch 2030. Verantwortung für heute und morgen.“ wurden bis dato nicht erfüllt. Über zehn Seiten beschäftigen sich mit dem Thema Bildung und Wissenschaft, aber dennoch sehen wir fast keine Fortschritte. Deshalb müssen wir Ihnen mal ein paar Denkanstöße geben.

Eine angemessene Kompensation der erwähnten Energiekrise ist unausweichlich. Es braucht jetzt eine erhebliche Anpassung des BAföG. Die umgesetzte Reform am 21. Juli 2022 ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber dennoch nicht aus, um die aktuellen Preissteigerungen zu kompensieren. Der Geschäftsführer des Studierendenwerk Rostock-Wismar Kai Hörig sagte am 05.08.2022 gegenüber der NNN zutreffend folgende Worte: „Diese BAföG-Novelle ist wichtig, sie reicht aber nicht aus, um die enormen Kostensteigerungen abzufedern. Die Erhöhung der Bedarfssätze um 5,75 % wird von der Inflation direkt wieder verschluckt. Neben dem beschlossenen Heizkostenzuschuss in Höhe von 230 Euro für BAföG-geförderte Studierende bedarf es weiterer finanzieller Unterstützung seitens des Staates.“ Die Förderungsbeträge sind 2021 bei Studierenden nur minimal gestiegen, dieser Trend sollte dringend verstärkt werden. [1] Es müssen wesentlich mehr Personen vom BAföG profitieren. Setzen Sie dafür ein klares Zeichen in Berlin.

Als Landesregierung können aber auch Sie direkt etwas ausrichten. Das landesweite Azubi-Ticket wird als Erfolg gewertet, das 9-Euro-Ticket war ebenso ein Erfolg. Nun müssen Sie mutig vorangehen und ein landesweit einheitliches Ticket mindestens für Auszubildende, Schüler*innen und Studierende umsetzen. 

Die zwei Studierendenwerke, Rostock-Wismar und Greifswald, können die steigenden Kosten nicht mehr kompensieren und geben sie an die Studierenden weiter. Rostock-Wismar: Semesterbeitrag steigt um 18 Euro, durchschnittliche Essenspreise in den Mensen um 77 Cent, Mieten in Wohnheimen zum Jahreswechsel um 25 Euro. Greifswald: Semesterbeitrag steigt um 8 Euro, Essenpreise wurden bereits um 22 Cent erhöht, Mieterhöhungen sollen noch folgen. Weitere Erhöhungen sind nicht ausgeschlossen. [2] Wo ist die Landesregierung, wenn die Lebenshaltung um 23 Prozent steigt? Wie soll Studieren dann noch gelingen? [3] Nun sind Sie an der Reihe, die Ausfinanzierung der Studierendenwerke ist längst überfällig.

Bei jeder weiteren bildungspolitischen Entscheidung wird als erstes der rote Stift angesetzt. Kürzungen und Einsparungen scheinen ein leichtes Mantra zu werden. Die Wohnsitzprämie ist ein exzellentes Beispiel. Seit 2014 haben die Hochschulen im Land über die Wohnsitzprämie Geldmittel erhalten, damit die Standorte wettbewerbsfähig bleiben. Mit dieser Prämie konnten die drei Statusgruppen Hochschulleitung, Studierendenschaft und Institute wesentliche Verbesserungen an den Hochschulen umsetzen, auch im Bereich Studium und Lehre. [4] Nun streicht das Land die Mittel für die Hochschulleitung und Institute, Einschnitte im Bereich Studium und Lehre sind die Folge. Die Wettbewerbsfähigkeit ist scheinbar kein Problem mehr. [5] Die gestrichenen Mittel sollten eigentlich den Studierendenwerken zugutekommen. Die Landesregierung spielt damit verschiedene Akteure gegeneinander aus, die eigentlich eng zusammenarbeiten. Aber auch die Studierendenwerke sehen bis dato keine zusätzlichen Mittel. Da stellen sich viele Fragen: Wo ist das Geld geblieben? Warum spielt man Statusgruppen gegeneinander aus? Wieso wird Bildung über eine Prämie finanziert?

Eine Verringerung der Abbrecherquoten sei eines der obersten Ziele der Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes, sagte der Referatsleiter des Wissenschaftsministeriums Kurt Schanné beim ersten Treffen zur Neugestaltung des Gesetzes. Wir haben seine Worte vernommen und wollen Sie daran messen. Das Lehrerbildungsgesetz muss an die heutigen Gegebenheiten angepasst werden. Die Lehrer*innenbildung in diesem Land kann nur gelingen, wenn jetzt alle Akteur*innen auf das Gesetz einwirken können. Ansonsten wird dort die Zukunftsfähigkeit aufs Spiel gesetzt. Auch das Landeshochschulgesetz kann sich über eine Novellierung freuen. Auch hier hoffen wir auf größtmögliche Partizipation der einzelnen Statusgruppen. Setzen Sie sich mit allen an einen Tisch, damit wir eine erfolgreiche Weiterentwicklung schaffen.

Diese Weiterentwicklung muss dann an den Hochschulen umgesetzt werden. Die Dauer von Berufungsverfahren von Professor*innen übersteigt schon seit geraumer Zeit eine zumutbare Länge. Stellen werden über Monate offen gehalten, weil das Verfahren nicht abgeschlossen weitergeführt werden kann oder es an bürokratischen Richtlinien hapert. Die Besetzung von Professuren ist dabei essenziell für die Lehre. Genau die Lehre, die unter einer wechselnden Frequenz der Lehrenden leidet. Die Anzahl der befristeten Stellen an den Hochschulen sorgt für eine Ungewissheit bei den Wissenschaftler*innen und bei den Studierenden. Mehr Kontinuität durch unbefristete Stellen würde die Lehre auf ein noch besseres Niveau bringen. Das Niveau, welches mit der zusätzlichen Umsetzung von digitaler sowie hybrider Lehre noch weiter steigen könnte. Die Durchführung der Lehre in Präsenz ist durch geeignete digitale Möglichkeiten zu erweitern. Die Zukunft sollte Einzug in die Räume der Bildung erhalten.

In all den Bereichen dürfen die einzelnen Menschen nicht vergessen werden. Bildung sollte von Natur aus sozial, gerecht und gleichwertig sein. Nur leider werden die Anreize dafür nicht gesetzt, es werden sogar Kürzungen vorgenommen. Bezahlbarer Wohnraum für Studierende und Auszubildende ist in den Städten knappe Ware geworden. Die Energiekrise verschärft den Kampf um günstigen Wohnraum, der zu wenig gefördert wird. Studierende aus Deutschland haben einen Heimatvorteil. Ausländische Studierende stehen vor sehr vielen Barrieren, die ihnen das Studieren hier erschweren. Der internationale Austausch kann das Land und die Hochschulen bereichern, dafür müssen alle Akteur*innen an einen Tisch gebracht werden, damit dann Barrieren mit Hilfe der Politik beseitigt werden. Die ungerechte Behandlung von Studierenden wird von der Politik seit langem unterstützt, es fehlt ein Tarifvertrag für die studentischen Hilfskräfte. Ein einheitlicher Tarifvertrag sollte Ziel der neuen Landesregierung sein. Wenn eine einheitliche Regelung auf Bundesebene nicht möglich ist, warum auf eine Einigung auf Landesebene verzichten? Die Landesregierung muss aus ihren Bemühungen nun endlich Taten entstehen lassen. Setzen Sie ein Zeichen für einen Tarifvertrag für Studierende.

Eine breite Anzahl an Forderungen, das ist uns sehr wohl bewusst. Aber zu viel ist in den letzten Jahren liegen geblieben. Und daher sind die Themen umso wichtiger anzugehen. Der Ruf nach mehr gesetzlichen Reformen, mehr Unterstützungen für Studierende sowie Auszubildende, einer Verbesserung der Lebensbedingungen, einer Ausfinanzierung des Bildungssystems und einer Zukunft für die Bildung sind keine neuen Gedanken.

Daher liegt nun der Ball bei Ihnen. Stehen Sie zu ihren Versprechungen nach einer Neuausrichtung der Landespolitik und lassen endlich Taten folgen. Wir werden nicht aufhören, Sie an Ihre Versprechungen zu erinnern.

Mit freundlichen Grüßen,

gez.

Der AStA der Universität Rostock

Der AStA der Universität Greifswald

Der AStA der Hochschule Wismar

Der StuRa der Hochschule für Musik und Theater Rostock

Der AStA der Hochschule Stralsund


[1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/08/PD22_342_214.html#:~:text=WIESBADEN%20–%20Im%20Jahr%202021%20haben,Personen%20(%2B0%2C4%20%25).

[2] https://www.stw-greifswald.de/unternehmen/unternehmen-news-detail/studierendenwerksbeitraege-werden-ab-dem-sommersemester-2023-erhoeht/c42a4ab95dde06cab37234fff8ff1edf/

[3] https://www.stw-rw.de/de/studierendenwerk/aktuelles/studierendenwerk-rostock-wismar-erhoeht-semesterbeitraege.html#A654

[4] https://www.uni-greifswald.de/storages/uni-greifswald/1_Universitaet/1.2_Organisation/1.2.6_Verwaltung/Dezernat_2/Referat_2.4_Controlling_und_Statistik/Wohnsitzpraemie/UEberarbeiteter_Durchfuehrungserlass_zur_Wohnsitzpraemie_2019_M.pdf [5] https://www.uni-greifswald.de/storages/uni-greifswald/1_Universitaet/1.2_Organisation/1.2.6_Verwaltung/Dezernat_2/Referat_2.4_Controlling_und_Statistik/Wohnsitzpraemie/Verwendungshinweise_der_WSP.pdf